Das Ende des alten Agenturmodells ist da. Und es könnte blutig werden.
"Madison Avenue Manslaughter" ist der drastische Titel des viel-diskutierten Fachbuchs aus der Feder von Michael Farmer, einem renommierten US-Agenturberater, der diese Woche in einer Kolumne des US-Branchenblatts Advertising Age ein paar kernige, aber wahrscheinliche Thesen zur Zukunft des Agenturmodells abließ. Ich teile seine Auffassung und möchte die wichtigsten Prognosen sowie Handlungsanweisungen für Agenturen hier kurz für Sie zusammenfassen.
These 1: Das Ende der Agency-of-Record ist gekommen.
Werbetreibende tendieren dazu, sich vom alten Exklusivpartner-Modell, der Agency-of-Record zu verabschieden und an dessen Stelle ein Netzwerk oder besser eine Korona von Spezialagenturen um sich zu scharen. Bestenfalls leistet man sich noch so etwas, wie eine Lead-Agentur, die quasi als "Kommunikationsarchitekt" dafür verantwortlich ist, eine Kampagnenidee mithilfe der Spezialisten zu orchestrieren. Viele Markenartikler leisten sich heute mehr oder weniger fähige Inhouse-Kommunikationsstrategen, die dann ihre Agenturen im Netzwerk führen, oft ohne direkten Kontakt der einzelnen Spezialagenturen untereinander. Viele Werbetreibende glauben erkannt zu haben, dass kleine Boutique-Agenturen und Spezialisten oft effektiver und mit größerem Engagement und Kompetenz arbeiten, als die Generalisten der großen Full-Service-Agenturen. Außerdem scheint der dauerhafte Wettbewerb zwischen den Agenturen der "Familie" um die Projekte des Werbetreibenden, den Ehrgeiz zu beflügeln und die Kosten erfreulich niedrig zu halten. In einer sich zunehmend fragmentierenden Medienlandschaft scheint ein fragmentierendes Agenturmodell wohl naheliegend.
These 2: Für die Agenturen sei mit der projektbasierten Honorierung das Ende der Planbarkeit von Einkünften endgültig gekommen.
Erratische Auftragsvolumina und Einkommen auf Agenturseite seien die Konsequenz einer limitierten, projektbasierten Auftragsvergabe der Werbekunden. Agenturen aus dem Agenturnetzwerk des Werbetreibenden müssen sich um jedes neue Projekt erneut bewerben. Der Aufwand für solche Bewerbungen und die notwendigen Angebotskalkulationen wird signifikant zunehmen. Auf beiden Seiten, wie die Auftraggeber schnell bemerken werden.
Mal angenommen, wir stimmen den beiden Hautthesen beziehungsweise der düsteren Zukunftsprognose Michael Farmers grundsätzlich zu – und, seien wir mal ehrlich, soweit sind wir doch gar nicht mehr davon entfernt – was wären dann die notwendigen Konsequenzen für Werbeagenturen und Kommunikationsdienstleister?
1. Flexibler werden!
Mit dem Ende der langfristigen und exklusiven Agenturverträge müssen sich Agenturen von vielem verabschieden, was bisher oft ihre Stärke und Attraktivität ausmachte: zum Beispiel dem großen Pool hoch dotierter und talentierter Kreativ-Talente auf Festanstellungsbasis, den repräsentativen Agenturpalästen in den angesagtesten Lagen der Werbemetropolen, den diversen Spezialabteilungen und -Agenturen in den stetig wachsenden Agenturgruppen, dem lockeren Umgang mit der Aufwandskontrolle usw. Agenturen müssen sich bis auf die absolut notwendigen Kernkompetenzen, konsequent verschlanken und sich gut gepflegte Netzwerke kompetenter Kommunikationsspezialisten auf Freelance-Basis halten, um ihr Leistungspotenzial skalierbar zu halten und ihren Kostenapparat an die schwankenden Einkünfte flexibel anpassen zu können.
2. Spezieller werden!
Mal ehrlich: Den 360-Grad-Allround-Werber hat es doch in Wirklichkeit nie gegeben. Jedes Talent in der Agentur hatte so seine persönlichen Stärken und was man besonders gut konnte, wurde dann auch meistens (wen wundert's?) empfohlen. Aber wenn jeder scheinbar alles kann, wird unsere Dienstleistung leider auch austauschbar und die Werbekunden gehen auf Shopping-Tour zu Schnäppchenpreisen. Agenturen sollten sich diesem ruinösen Preiswettbewerb entziehen indem sie sich spezialisieren, ein überschaubares Feld besetzen, dass die Schnittmenge aus besonderer individueller Kompetenz und attraktiver Nachfrage bildet. Hier ist der Wettbewerb überschaubar und Spezialisten konnten schon immer höhere Honorare erzielen. Die Zukunft gehört den kleinen, eindeutig und attraktiv positionierten Spezialagenturen, die sich gerade aufgrund ihrer Spezialisierung dem direkten Wettbewerb weitgehend entziehen und über echte Mehrwerte finanziell attraktive Honorare generieren können.
3. Effizienter werden!
Seien wir mal ehrlich: In Zeiten großzügiger Retainer-Verträge waren Stundenzettel doch bestenfalls als turnusmäßige Aufreger gut. Ertrags- und Aufwandskontrollen auf Kunden- oder sogar Projektbasis blieben doch meist ein feuchter Traum des Controllings. Das wird sich dramatisch ändern. Projektangebote müssen künftig auf einem präzise definierten Scope-of-Work beziehungsweise verbindlichen Pflichtenheften basieren. Kunden, deren Projekte sich nicht rechnen, müssen konsequent ausgesiebt und durch profitablere ersetzt werden. Talente, die der Agentur keinen finanziellen Mehrwert liefern, werden keine Zukunft mehr im Agenturgeschäft haben. Die alten überkommenen Workflows müssen durch moderne Projectmanagement-Techniken à lá Scrum ersetzt werden.
Die Abkehr vom alten Modell der Agency-of-Record, in Verbindung mit dem Vergütungsmodell über langfristig ausgehandelte Retainer ist auch in Deutschland längst angekommen. Farmer warnt aber die Werbetreibenden eindringlich davor, nur auf die vermeintlichen Vorteile solcher procurement-getriebenen Dienstleister-Einkaufsstrategien zu schauen. Denn häufig fehle es in den Marketingabteilungen an Kapazität und Kompetenz, komplexe Kommunikationsstrategien zu entwickeln und mit Hilfe einer heterogener Schaar in der Regel schlecht vernetzter Spezialagenturen unterschiedlichen Qualitätsniveaus effizient zu orchestrieren. Gegenläufige Trends in anderen Industriezweigen streben ja eher nach einer Reduzierung von Komplexität und neigen zum Outsourcing von strategischer Kompetenz auf eher weniger Lieferanten. Bei aller Freude über die Einsparerfolge der Einkaufsabteilungen bei ihren Werbelieferanten vergessen die Werbetreibenden, dass die Fragmentierung der Kommunikationsdienstleistungen letztlich zu höheren Steuerungsaufwand im Haus führt und die Qualität des Outputs sinken wird, unter anderem durch mangelhafte Abstimmungsprozesse und egoistischer, oft gegensätzlicher Interessen der Spezialagenturen untereinander.
Als Dienstleister können wir leider wenig tun, um den aktuellen Trend bei unseren Werbekunden aufzuhalten. Wir müssen uns den neuen Herausforderungen stellen und unsere Agenturen, der sich ändernde Nachfrage konsequent anpassen, damit wir nicht "abgeschlachtet" werden – wie Farmer schreibt – "zwischen den Fronten der sparwütigen Kunden und der profitgeilen Agenturinvestoren."
Den Link zur Kolumne in Advertising Age finden Sie [hier]. Das neue Buch von Michael Farmer "Madison Avenue Manslaughter" finden Sie bei Amazon [hier].