Ein offener Brief an Pitch-verliebte Marketingentscheider.
In seinem zweiteiligen, wirklich lesenswerten Artikel in der US-amerikanischen Fachzeitschrift AdvertisingAge «An Open Letter to Clients Considering an Ad Agency Review» beschreibt der Chief Creative Officer des US-amerikanischen Lebensmittelriesen General Mills, Michael Fanuele seine Erfahrungen mit seinem ersten Pitch als Kunde. Hatte er Pitches davor immer nur von der anderen, namlich der Agenturseite kennengelernt.
In diesem Beitrag möchte ich einige aus meiner Sicht bemerkenswerte Statements eines erfahrenen Marketeers zum Thema Pitches vorstellen und kommentieren.
In den Reaktionen zu diesem durchaus kontrovers aufgenommenen Artikel wird Fanuele mal Weichei-Gehabe, mal Selbstverliebtheit und mal Naivität vorgeworfen. Andere gratulieren ihm zu dem Mut und der Sensibilität, sich vom üblichen Alphamännchen-Getue und den Machtspielchen vieler Marketeers zu distanzieren und stattdessen mal die oft ungeheuren Leistungen und Investitionen der pitchenden Agenturen ehrlich anzuerkennen. Wie auch immer man selbst seinen Artikel beurteilen möchte - und das hängt sicher auch davon ab, ob man die Kunden- oder die Agenturbrille aufhat – der Artikel wirft einige interessante Gedanken zum Thema Pitch für beide Seiten ab, die ich hier gerne herausheben und kommentieren möchte.
Über den Sinn beziehungsweise Unsinn von klassischen Pitches und die mögliche Alternativen habe ich ja hier immer wieder geschrieben. Meine Artikelreihe «Besser-Pitchen (1) – Warum es Zeit wird, für ressourcenschonendere Pitch-Alternativen.» wäre in guter Einstieg, wenn Sie als Werbungtreibender darüber nachdenken, einen klassischen Pitch auszuschreiben oder wenn Sie als Agenturentscheider die Einladung zu einem klassischen Pitch auf dem Tisch haben und darüber nachdenken teilzunehmen.
Aber nun wirklich zu den aus meiner Sicht interessantesten Punkten aus dem AdvertisingAge Artikel von Michael Fanuele:
I saw that [...] an ad agency is still the surest bet to find a crew of people packing ideas that can transform a business. That strong cocktail of insight, strategy, and creativity (with the occasional jigger of wide-eyed possibility) is still the generous offering of our ad agencies, and harder to find tucked in corners at consultancies or perched on new media platforms.
Dem kann ich nur zustimmen. Während klassische Unternehmensberatungen ihre Stärken meist eher in der glasklaren und präzisen Analytik und den entsprechenden Tools haben, fehlt es ihnen in der Regel an der nötigen Zielgruppenkenntnis und der Kreativität, aus ihren Daten wirklich hilfreiche Insights zu genieren, die dazu geeignet wären, Kommunikationslösungen zu entwickeln, die Marken und Unternehmen wirklich nach vorne bringen.
(Note to agencies: If I were running another pitch at an agency, I'd start by being crystal-clear about who we wanted to be for the prospective client: a partner, a savior, a therapist, a tryst, etc. -- and then, of course, make sure that we'd show up as those people, consistently, every step of the way, just as we'd recommend any brand ought to do.
Michael Fanuele empfiehlt Agenturen für sich genau die Ratschläge zu beherzigen, die gute Agenturen ihren Kundenimmer geben: nämlich ihre Marken spitz zu positionieren ihnen eine unverkennbare Markenpersönlichkeit zu geben und dafür zu sorgen, genau diese Persönlichkeit konsistent an allen Touchpoints umzusetzen. Das Modell auf das er sich hier bezieht («... a savior, a therapist, a tryst, etc.») heißt übrigens Archetypen-Modell und ist - falls Sie es noch nicht kennen – wirklich eine Empfehlung wert.
The instinct of a pitch [...] is to judge it as a sport, scoring wins and losses, hits and misses, sometimes literally on consultant-provided scorecards. But an agency pitch is nothing like a sport, [...] No, a pitch is a far stranger exercise in exploring that ineffable quality called chemistry. A pitch is about feeling out feelings not calling winners and losers, and so, Client, I believe there's really just one critical virtue to hug tightly throughout the pitch: humility.
So wichtig auch ich es finde, sich vor jedem Meeting mit den potenziellen Agenturpartnern genau zu überlegen, was man in diesem speziellen Treffen erfahren und herausfinden will und sich entsprechende Checklisten zu machen, viel wichtiger ist es meines Erachtens zwischen den Zeilen zu lesen und es sich auch mal zu erlauben, auf seinen Bauch zu hören. Eine gute Chemie, gemeinsame Werte und Ansichten sind unerlässlich für eine fruchtbare und auf Dauer angelegte Partnerschaft.
Collaboration only feels good when there's conviction behind it. The agency that won our contest was neither obsequious nor stubborn; they had a power to articulate our incoherent hopes and anxieties in a way that allowed them to form a strong point-of-view about our situation if not their solutions. Judge the stance, Client, not the swing.
Haltung und Rückgrat, die beiden wichtigsten Erfolgsfaktoren einer Agentur. Auch und gerade in Pitch-Situationen. Ja, Agenturen sind Dienstleister. Aber, wer dem potenziellen Auftraggeber nach dem Mund redet, um auf Teufel komm raus den Pitch zu gewinnen, hilft weder sich noch dem Kunden.
Jeff Goodby, co-founder and co-chairman of Goodby Silverstein & Partners, made this case convincingly a couple years ago in a Forbes column: «With time in such short supply, get to know an agency, look at their work, talk to their clients, have a conversation, but then just take a chance and give them a project.»
Dass der klassische Pitch schon lange nicht mehr die einzige und auch oftmals gar nicht die beste Methode ist, einen neuen Agenturpartner oder Kreativdienstleister zu finden, darüber hatte ich ja schon ausführlich in meiner Artikelreihe unter dem Titel «Besser-Pitchen (1) – Warum es Zeit wird, für ressourcenschonendere Pitch-Alternativen.» geschrieben. Viele Werbungtreibende unterschätzen immer noch den enormen Aufwand und die Ressourcen, die durch einen klassischen Pitch auf beiden Seiten gebunden werden.
But if you do make the call for a pitch and eventually make the decision on a new partner, try to do the only thing that feels right for me at this moment: know there were other equally-awesome alternatives, know there were other agencies that could've crushed it for your company, but throw your arms around the agency you've chosen and hold on tight. It's an awesome moment.
Auch, wenn der Zeitdruck gerade nach Beendigung eines Pitches oft recht hoch ist, beide Seiten sollten sich klar darüber sein, dass nur ein professioneller Onboarding-Prozess das nötige Fundament für eine lange, produktive Partnerschaft legen kann. Wer hier schludert oder spart riskiert einen Fehlstart und möglicherweise sogar die noch junge Partnerschaft. Lesen Sie hierzu auch meine Posts zum Thema On-Boarding: «Fehlstart – Warum jede neue Kundenagenturbeziehung mit einem professionellen On-Boarding-Meeting beginnen sollte.» und «Welcome on Board! Wie Sie neue Kunden sicher ins Boot holen. ».