Trend zu Inhouse-Agenturen – Fluch oder Segen für Kreativschaffende.
Die Anforderungen der Werbungtreibenden an ihre Agenturen in den Dimensionen:
- spezifisches Marken-, Markt- und Zielgruppen-Know-How,
- Umsetzungsgeschwindigkeit,
- Flexibilität und Agilität,
- komplexitätsabhängige Honorierungsmodelle etc.
steigen stetig. Für viele Marketers ist das alte Agenturmodell zu langsam, zu teuer, zu unflexibel und zu weit weg vom immer schneller werdenden Marketingtagesgeschäft. Kein Wunder also, dass immer mehr Unternehmen ernsthaft darüber nachdenken, zumindest Teile der Aufgaben, für die man bisher externe Agenturen beziehungsweise Strategie- und Kreativdienstleister beauftragt, in Zukunft selbst in eigenen Inhouse-Agenturen erledigen zu lassen.
Aktuelle Umfragen in den USA und Großbritannien legen nahe, dass fast die Hälfte der befragten Werbungtreibenden bereits Inhouse-Lösungen aufgebaut hat oder sich zumindest ernsthaft mit diesem Gedanken tragen. Laut eines Artikels in «Marketing Communication News», der digitalen News-Plattform für die UK-Agenturszene, der Bezug nimmt auf eine Studie des ISBA, dem englischen Fachverband der Werbungtreibenden und Werbeagenturen, muss mit einer signifikanten Zunahme von Inhouse-Agenturlösungen im UK-Werbemarkt gerechnet werden. Auch, wenn ich bisher keine entsprechenden Studien für den deutschen Markt gefunden habe, ist wohl davon auszugehen, dass die Interessenslage in Deutschland kaum anders aussieht.
Eine ernsthafte Bedrohung für die Agenturbranchen? Oder vielleicht die Chance, den Paradigmenwechsel zum Anlass zu nehmen, und über völlig neue, nachfragegerechtere Agenturmodelle nachzudenken?
In diesem Beitrag möchte kurz beleuchten, welche Auswirkungen der Trend zu Inhouse-Agenturen auf traditionelle Agenturen und Freelancer haben wird und Wege aufzeigen, wie man diesen Trend für das eigene Geschäftsmodell gewinnbringend nutzen kann.
Hier ein paar sinnvolle Strategien, wie unabhängige Agenturen oder deren Mitarbeiter den Trend zu On-site-Lösungen für sich nutzen können:
Die maßgeschneiderte Agentur.
Eine Antwort auf Inhouse- oder On-Site-Agenturen sind sogenannte Customized-Agencies. Dabei wird eine neue Agentur gegündet, maßgeschneidert auf die individuellen Bedürfnisse eines großen Werbungtreibenden. In der Regel betrieben durch eine klassische Werbeagentur, als Tochter- oder Schwesterunternehmen. In einigen Fällen auch als Joint-Venture. Und meist, aber nicht immer, exklusiv für nur einen Auftraggeber arbeitend.
Beispiele für solche Customized-Agencies sind die Agenturen Redblue Marketing(2000 als Customized Angency für die Unterhaltungselektronikhändler MediaMarktSaturn Retail Group gegründet und heute eher als ausgegliederte Marketingabteilung arbeitend) oder deren neuer Dienstleister «Zum roten Hirschen» (aktuelle Customized Agency der Agenturgruppe «Zum goldenen Hirschen» exklusiv für Media-Markt). Oder – ganz aktuell – die Düsseldorfer Customized Agency «Bobby & Carl» (ein Joint Venture zwischen der Agentur Thjnk und Thyssenkrupp), wie die W&V [hier] berichtet.
Customized Agencies verbinden das beste aus zwei Welten. Sie bieten die Chancen einer Inhouse-Lösung, mindern aber die bekannten Risiken (Lesen Sie hierzu auch meinen Beitrag «Einfach mal selber machen! Sind In-House-Agenturen die Lösung?» der das Thema Inhouse Agenturen aus der Perspektive der Werbungtreibenden beleuchtet.)
Das Angebot einer maßgeschneiderten Agenturlösung kann (und hat schon) Pitches entschieden. In der Regel sichert diese Lösung eine langfristige Zusammenarbeit mit dem Kunden und hilft dabei, vertikale Expertise in bestimmten Märkten aufzubauen.
Thema Cherrypicking!
Eine absehbare Konsequenz aus der erwarteten Verlagerung hin zu Inhouse-Agenturen wird ein häufigeres Cherry-Picking der Werbungtreibenden sein. Während man simple, eher anspruchslose Aufgaben mit hohem Arbeitsvolumen von den bisherigen Dienstleistern abziehen und auf die Inhouse-Agenturen verlagern wird, werden viele Werbungtreibenden nicht umhinkommen, eher anspuchsvolle, komplexe Aufgaben weiterhin von kreativen und kompetenten, externen Spezialisten erledigen lassen zu müssen. Hier liegt die große Chance für solche Spezialisten, ihre unverzichtbare und nachgefragte Expertise ihrem wahren Mehrwert entsprechend zu Premiumhonoraren meistbietend zu vergolden.
Thema Leiharbeit.
Einer der systemimmanenten Nachteile von On-Site-Lösungen ist deren mangelnde Skalierbarkeit. Hier könnten traditionelle Agenturen aushelfen und schnell und flexibel, trainierte Spezialisten oder auch nur gestandene Umsetzer temporär an solche On-Site-Lösungen als Interimslösung zur Abdeckung von Kapazitätsspitzen oder für seltene, aber anspruchsvolle Aufgaben, verleihen.
Kleinvieh kann auch mist machen.
Eine andere mögliche Strategie für traditionelle Agenturen und Freelancer wäre die eigene Honorarstruktur neu zu überdenken und es den Werbungtreibenden ein wenig schwerer zu machen, Inhouse-Lösungen als kostengünstigere Alternative zur externen Dienstleistung zu etablieren. Aus meiner Erfahrung lassen sich gerade auch mit eher anspruchsloseren, aber dafür volumensintensiveren Arbeiten gute Gewinne realisieren, wenn man die Personalstruktur daraufhin optimiert und die Preisstruktur wettbewerbsfähig kalkuliert.
Ein neuer Markt für Agenturmitarbeiter und Freelancer.
Inhouse-Agenturen sind ein neuer, wachsender Arbeit- und Auftraggebermarkt für freiberufliche und festangestellte Kommunikationsprofis. Sie bieten in der Regel attraktivere Arbeitsbedingungen und Konditionen bei (noch) geringerem Nachfragerwettbewerb, verglichen mit traditionellen, unabhängigen Agenturen. In der Regel kürzere Entscheidungswege und besserer, direkterer Zugang zu Informationen sind nur zwei der immanenten Vorteile von Inhouse-Agenturen als Arbeitgeber.
Der Trend zu On-site-Agenturen scheint nicht aufzuhalten. Ein trotziger Boykott solcher Werbungtreibende durch die Gemeinschaft unabhängiger Agenturen scheint unwahrscheinlich und wenig effektiv. Es gilt, die Chancen zu erkennen, und innovative Angebote wie Geschäftsmodelle zu entwickeln, die ein lukratives Nebeneinander von On-site-Agenturen undunabhängigen Agenturen wie Freelancern möglich macht.