Im Rahmen eines kleinen Beratungsprojekts hatte ich gerade die Freude, einem renommierten Verlagsbüro dabei zu helfen, sich neu zu erfinden und als Full-Service-Dienstleister für „Multi-Channel-Brand-Activation“ wiederaufzuerstehen. Die dramatischen Veränderungen in der Medienbranche und die erodierende Nachfrage nach sogenanntem klassischen Mediainventar zwingen letztlich alle Medienmittler, neue Dienstleistungsangebote und Geschäftsmodelle zu entwickeln, um überleben zu können. Und, wie immer, bieten solche, wenn auch nicht ganz freiwilligen Veränderungen große Chancen.
Aber was bedeuten die teils dramatischen Veränderungen der Parameter in unserer Marketing- und Kommunikationslandschaft für Werbeagenturen? Müssen sich Agenturen wirklich wieder neu erfinden? Natürlich müssen sie, und das nicht zum ersten Mal.
Dramatische Veränderungen der Rahmenbedingungen für Agenturen:
- Digitalisierung und Fragmentierung der Medienlandschaft
- Verschiebungen in der Bedeutung alternativer Informationsquellen
- Sich verändernde Rezeptionsgewohnheiten und zunehmende Werbe-Resistenz bei den Konsumenten
- Technische (R)Evolution der Medien
- Steigende Anforderungen der Werbetreibenden an die Messbarkeit von Kommunikationsmaßnahmen
Agenturen haben sich schließlich immer wieder neu erfunden, seit der Ex-Marinesoldat und späterer Agenturgründer J. Walter Thompson 1864 die ersten Anzeigen für das Kirchenblatt der Methodisten in Manhattan schrieb.
Ging es zunächst nur darum, Innovationen und Dienstleistungen vollmundig anzupreisen und Grafik sowie Drucktechnik zu beherrschen, mussten Agenturen später in der Ära von Rosser Reeves und Ogilvy als "geheime Verführer" allerhand Psychotricks lernen, entdeckten den USP für sich und begannen in Zielgruppen zu denken. Agenturen machten sich daran, Markentechnik zu erlernen und mussten nur für ausreichend Mediadruck sorgen, um ihre werbetreibenden Auftraggeber glücklich und reich zu machen. Mit den sogenannten Soap Operas (also den frühen Vorläufern unserer Serien) wurden Agenturen schon damals zu Content-Produzenten. Mit dem Einzug des Dialogmarketing bekam Werbung einen Rückkanal und wurde messbar. Nachdem sich die Medialandschaft aufgrund der technischen Möglichkeiten dramatisch erweiterte und immer neue Kommunikationskanäle zur Verfügung standen, wandelten sich Full-Service-Agenturen durch Zukauf von Spezialisten, wie z.B. PR-Leuten, Direct-Marketers und Promotion-Spezialisten zu 360-Grad-Agenturen und begannen munter, Kampagnen zu "orchestrieren". Als Marken immer internationaler wurden, zogen Agenturen nach und bauten internationale Networks auf.
Nun hat uns die digitale Revolution in den Allerwertesten getreten und schon sind alle plötzlich ultra-digital, treiben munter die Content-Marketing-Sau durchs Reklamedorf empfehlen Inbound-Marketing, Twittern und Tweeten im Auftrag ihrer Marken und füllen die Sales-Funels ihrer Kunden.
Es gibt aber auch Kernleistungen im Agentur-Angebot, die vermutlich immer unverzichtbar und nachgefragt bleiben:
- Ideen - Große, innovative, verrückte Ideen, die Marken wachsen lassen
- Innovative Lösungen, die Herausforderungen überwinden und den geschäftlichen Erfolg der Auftraggeber sichern oder sogar erst ermöglichen.
- Eine Außenperspektive – Kunden sind oft in ihrer eingeschränkten Innensicht der Dinge gefangen und schätzen die unvoreingenommene und hoffentlich ehrliche Außensicht ihrer Agentur.
- Orchestrierung – Je größer die Möglichkeiten und je unübersichtlicher die Kanäle und Instrumente der Markenkommunikation werden, desto dankbarer sind Werbetreibende dafür, dass ihre Agentur die Rolle des Kommunikationsdirigenten übernimmt.
- Beziehungen und Netzwerk – Gut vernetzte, renommierte Agenturen verfügen über vielfältige Kontakte, an denen Werbetreibende Interesse haben. Das sind zum einen vielfältige Talente, die man für die eigene Marke einsetzen möchte, zum anderen potenziell attraktive Geschäftspartner für Kooperationen oder sonstige geschäftliche Unternehmungen.
- Dienstleistungskapazität und -bereitschaft – Auch in werbetreibenden Unternehmen hat der Rotstift längst für schlanke Strukturen und dünne Personaldecken gesorgt. Agenturen sind eine willkommene Ressource für das Outsourcing von Projekten, die intern nicht mehr oder zumindest so schnell nicht mehr abzuwickeln wären.
Diese Kernkompetenzen und -leistungen gilt es zu sichern und zu professionalisieren, um attraktiv, relevant und wertvoll zu bleiben, für die werbetreibenden Auftraggeber, während man andererseits ständig offen und flexibel dafür bleiben muss, sein Geschäftsmodell der sich verändernden Nachfrage anzupassen.
Und was sind die nächsten Herausforderungen für Agenturen? Die Wertschätzung für die Arbeiten der Talente in den Agenturen nimmt ab. Stunden-und Tagessätze erodieren und aus langfristiger, partnerschaftlicher Zusammenarbeit mit unseren werbetreibenden Auftraggebern sind kurzfristiges Projektgeschäft und die Wartestellung im Pool der Boutique-Agenturen unserer Auftraggeber geworden. Marken-Logos und Slogans gibt's online schon ab 5 USD [hier]. Zwar oft nur halb so gut, wie bei Agenturen, aber den Unterschied können oder wollen viele Kunden gar nicht mehr wahrnehmen.
Agenturen müssen aufhören, Werbung zu verkaufen und stattdessen messbare Ergebnisse liefern. Wenn werbetreibende Kunden heute einen Euro in Werbung investieren, erwarten Sie mindestens zwei Euro in Umsatz dafür zurück. Gelingt es Agenturen, diese messbare Rendite zu liefern, bleiben sie im Geschäft und die Kunden werden sich weit weniger als bisher einmischen, in die Arbeit ihrer Agenturen, weil es ihnen dann letztlich egal ist, was wir tun und wie wir das tun, solange der Return-On-Investment nur stimmt. Zugegeben ein großer Schritt für die Agenturen, aber einer der lohnt und hilft, die wirtschaftliche Zukunft zu sichern.
Falls Sie jetzt Lust haben, sich neu zu erfinden und – wie Ihre Auftraggeber – eine professionelle, erfahrene und ehrliche Außensicht schätzen, wäre das doch genau der richtige Zeitpunkt, den New Business Doctor zu rufen.
Was denken Sie, sind die größten Herausforderungen, für Agentur aktuell? Wie müssen sich die Geschäftsmodelle der Agenturen ändern, um attraktiv zu bleiben für den Werbekunden von morgen? Freue mich über Ihre Gedanken und Kommentare.