Erste Frage: Warum zahlen täglich mehr als eine Million Starbuck's Gäste weltweit im Durchschnitt 75% Prozent mehr für eine Tasse Kaffee im Pappbecher, als die gleiche Tasse zum Beispiel beim Bäcker um die Ecke kosten würde? Oder warum bevorzugen sie den kurzen Stop-over bei Starbuck's Kaffee vor der zu Hause aufgefüllten Thermostasse?
Zweite und noch wichtigere Frage: Was können wir Agenturen und Kreativdienstleister daraus lernen?
In diesem Beitrag möchte der New Business Doctor Agenturen dafür sensibilisieren, das Kundenerlebnis (neudeutsch: «UX») in und mit der Agentur professionell zu inszenieren und als mächtiges Kundenbindungsinstrument bewusst zu steuern.
Als ich vor vielen Jahren einer bekannten Eventagentur beim New Business half, erreichte uns eine interessante Anfrage eines kürzlich wieder eröffneten Kitzbüheler Hotels. Ich fuhr mit, zum Kennenlerntermin und wir waren nicht wenig überrascht, als man uns um Hilfe bat, das Gästeerlebnis zu verbessern, «zu stagen» war der Fachausdruck, den im Zusammenhang mit Hotels noch keiner der mitgereisten Eventprofis so gehört hatte. Die frischgebackenen Hoteliers hatten erkannt, dass der Hotelaufenthalt weit mehr sein kann, als nur Übernachtung mit Halbpension und sich folgerichtig an Profis gewand, die wissen mussten, wie man Erlebnisse dramaturgisch inszeniert. Das Ergebnis war ein «Drehbuch», das präzise festlegte, welche Erlebnisse man künftigen Gästen wann bieten wollte. Von der Reservierungsanfrage über den Check-in bis weit nach der Abreise wurde nun nichts mehr dem Zufall oder der Tageslaune des Personals überlassen. Sicher kein Zufall, dass «unser» Hotel heute zu den bekanntesten und gefragtesten in der Region zählt.
Nun ist Marken-erlebbar-Machen ja die Königsdisziplin der meisten Agenturen und Customer Experience längst «das neue Black» vieler Markenberater und trotzdem gelingt es nur wenigen Agenturen, das Markenerlebnis für ihre Kunden beeindruckend zu inszenieren. Und wer schon mal auf Kundenseite gearbeitet weiß, wir sehr sich viele Auftraggeber danach sehnen, mal rauszukommen aus den meist schlichten Großraumbüros der Markenartikler und ein wenig kreatives Flair zu schnuppern in der Agentur. Aber dort sieht es heute vielfach fast genau so dröge aus, wie in der Industrie: quadratmeteroptimierte Ideenlegebatterien mit Großraumbürocharm. Von Agenturerlebnis weit und breit keine Spur. Traut man solchen Agenturen wirklich zu, Markenerlebnisse zu kreieren, die Konsumenten begeistern?
Warum ist das so?
- Agenturmanager unterschätzen die Kraft kreativer Erlebnisinszenierung in der eigenen Agentur.
- Das Agenturerlebnis wird Zufällen überlassen. Es fehlen eine klare Dramaturgie und verbindliche Handbücher.
- Es fehlt an Profis für eine dramaturgisch spannende Inszenierung des Agenturerlebnisses.
Zeit mit und in der Agentur zu verbringen, sollte immer der schönste Teil des Arbeitstages jedes Kunden sein. Wer als Agentur erfolgreich sein möchte, muss seine Kunden fesseln, sie überraschen und ihnen Erlebnisse bieten, über die man unter Marketingkollegen spricht. Das Erlebnis Werbeagentur gehört minutiös konzipiert und inszeniert. Von der ersten Kontaktaufnahme über den ersten Besuch des potenziellen Kunden bis zum endgültigen Abschied (bis zu dem es hoffentlich möglichst lange dauert).
Ansatzpunkte sind:
- Die konsequente Inszenierung des Agenturgründers (z. B. Ogilvy, J. Walter Thompson)
- Die schlüssige Umsetzung von Symbolen, die die Positionierung oder das Credo der Agentur verkörpern (z. B. das Trojanische Pferd von JungvonMatt oder die konsequente Dammwild-Inszenierung bei den Hirschen)
- Eine ungewöhnliche Architektur oder Location (Bilder ungewöhnlich schöner Agenturen [hier] und [hier].
- Kundenveranstaltungen mit Event- / Erlebnischarakter.
- Eine ungewöhnliche Tonalität im Schriftverkehr mit den Kunden (Beispiel: Die legendäre «Betriebsanleitung für Werbeagenturen» von Springer & Jacoby oder der minimalistische Agenturvertrag von Segura [hier]).
Wer Kunden überraschen und binden möchte, muss sich Gedanken machen über eine kreative und beeindruckende Inszenierung seiner Agenturmarke und eine konsequente Dramaturgie der Agenturerlebnisse für seine Kunden.