Junge Berater in Agenturen, die aufstiegen, dokumentierten ihren neuen Status gerne in dem sie ihre BOSS Anzüge von der Stange in Metzingen gegen maßgeschneiderte aus edlem, italienischen Tuch austauschten. Ist es erfolgreichen, großen Markenartiklern zu verdenken, dass sie sich immer häufiger maßgeschneiderte, exklusive Agenturen zulegen?
In diesem Beitrag möchte der New Business Doctor erläutern, was sogenannte Customized Agencies, also maßgeschneiderte Agenturen eigentlich sind und diskutieren, welche Vor- und Nachteile dieser neue Agenturtypus für die Markenartikelunternehmen und die Agenturen haben könnte.
Was ist eine Customized Agency?
Unter dem Begriff Customized Agency werden Ansätze beziehungsweise Organisationsformen zusammengefasst, bei denen sich eine Agentur komplett an den Bedürfnissen eines Hauptkunden ausrichtet. In Abgrenzung zur genannten Inhouse Agency, die eher als Abteilung eines Unternehmens fungiert, bleibt eine Customized Agency weitgehend wirtschaftlich unabhängig vom Auftraggeber und hat ihren Firmensitz auch meist außerhalb dessen Geschäftsräume. Je nach Modell und Absprache können Customized Agencies auch für weitere Kunden tätig werden. So ist beispielsweise die Digitalagentur des Berliner Inkubators Rocket Internet, RCKT (Rocket Communication) auch für Kunden außerhalb der Beteiligungen der Berliner Firmenschmiede tätig, wie zum Beispiel für Deutsche Bahn, L'Oréal, Google und Puma und antoni plant wohl gerade die zweite Customized Agency unter der Agenturmarke für den Süßwarenhersteller Katjes.
Beispiele für Customized Agencies sind:
- antoni (Mercedes Benz und Katjes)
- Bobby&Carl (Joint Venture zwischen ThyssenKrupp und der Agenturgruppe thjnk)
- Heye Grid (Exklusive Unit innerhalb von Heye für BMW)
- Innocean (Hyundai)
- LTT / Leo's Think Tank (Joint Venture zwischen Leo Burnett und Thjnk für McDonald's)
- The Back Room/McCann (Aldi Nord)
- RCKT (für Beteiligungen der Rocket Internet)
- Spark44 (Die Customized Agency, die sich selbst als «Demand-Creation-Partner» bezeichnet, ist ein “50:50-Joint-Venture von Jaguar Land Rover und vier ehemaligen Agenturmanagern)
- We are unlimited / unltd. (Omnicons «Dedicated Agency» für McDonald's)
- Zum Roten Hirschen (Customized Angency Hirschen Group für Mediamarkt)
Liegen «Customized Agencies» im Trend?
Zumindest gibt es momentan wieder relativ viele solcher «Customized Agencies». Auch, wenn das Konzept nicht wirklich neu ist. Ältere Werber werden sich noch die seinerzeit größte deutsche Werbeagentur, die LINTAS erinnern. Heute aufgegangen in Interpublics Netzwerk «MullenLowe Lintas Group». Was viele vergessen haben: Die LINTAS wurde zu Urzeiten als «Lever International Advertising Services» als Inhouse Agency gegründet und war danach der Definition nach zunächst nichts anderes als eine ausgegliederte Customized Agency für Unilever.
Dass Werbung treibende Unternehmen ihre Werbeabteilungen zu Inhouse Agencies aufrüsten liegt durchaus im Trend, verspricht man sich doch massive Kosteneinsparungen, gerade wenn eher anspruchslosere Projekte durch die eigenen Mitarbeiter, statt die «teure» Agentur abgewickelt werden können. Allerdings ist es oft schwer, kreative Talente für einen Industriestandort in der Werber-Diaspora zu gewinnen und dem Bedürfnis vieler kreativer Talente nach einem kreativitätsfördernden Arbeitsumfeld und Abwechslung in den Herausforderungen und Aufgaben gerecht zu werden. Da scheint die Customized Agency doch ein guter Kompromiss.
Was versprechen sich Werbung treibende Unternehmen von einer eigenen Customized Agency?
1. Kostenersparnis, Transparenz und Effizienz.
Wer all seine Etats bei nur einer Agentur bündelt und auch noch langfristige Umsatzgarantien zu geben bereit ist, erwartet selbstverständlich erhebliches Entgegenkommen in den Konditionen. Ist man als Auftraggeber auch noch an der Customized Agency beteiligt, erlangt man maximale Transparenz in der Kostenstruktur und Preisgestaltung. Da sich die Customized Agency in der Regel nicht um neue Aufträge oder gar Kunden bemühen muss, kann sie effizienter arbeiten, als eher klassische Agenturmodelle. Investitionen in spezielles Produkt-, Markt- und Zielgruppen-Know-how auf Agenturseite amortisieren sich besser, da die Mitarbeiter der Customized Agency in der Regel länger und intensiver auf den Projekten ihres Mono-Kunden arbeiten, als ihre Kollegen*innen in den herkömmlichen Agenturen. Auch liegen die Hürden für eine gemeinsame IT-Struktur und Geheimhaltungsprozesse hier deutlich niedriger.
2. Mitbestimmungsrecht.
«Wer zahlt, schafft an.» oder, wie mein Schwiegervater immer zu sagen pflegt: «Wer zahlt, bestimmt die Musik.» Und so erwartet man als Alleinauftraggeber seiner Customized Agency natürlich zumindest Mitsprache in wichtigen Entscheidungen, wie zum Beispiel dem Recruitment, der Teamzusammenstellung und in Fragen wie wer mit welcher Priorität auf welchen Projekten arbeitet.
3. Know-how-Transfer und Co-Creation.
Bei einer Customized Agency sind die Wege in der Regel kürzer, die Prozesse effizienter und klarer geregelt, als das bei herkömmlichen Agenturmodellen der Fall ist. Know-how fließt in beiden Richtungen besser. Und so weiß das Customized Agency Team in der Regel viel besser Bescheid, über die individuellen Ziele, Rahmenbedingungen und Usancen ihres Kunden, als ihre Kollegen*innen in den althergebrachten Agenturen. Aber auch die Marketingmitarbeiter beim Auftraggeber können sich von ihren Agenturkollegen*innen das eine oder andere abgucken, was bei ihrer alten Agentur wohl eher hinter den Kulissen passierte. In der Regel wird die Customized Agency auch offener für moderne Co-Creation-Prozesse sein, als die klassische Agentur.
4. Größere Anziehungskraft für Kommunikationstalente.
Inhouse Agencies sind als Arbeitgeber für viele, gerade junge Talente oft uninteressant. Vielfach sind die Unternehmenszentralen an Orten angesiedelt, die nicht gerade als hip gelten und weder kulturell noch kreativ anspruchsvolle Umfelder bieten. Auch gelten die Vorgesetzten in solchen Inhouse Agencies nicht gerade als die kreative Elite von denen man lernen könnte und möchte. Ganz anders die Customized Agency, die meist an typischen Agenturstandorten angesiedelt ist, das kreative Umfeld und Ambiente einer Agentur bietet und weit genug vom Auftraggeber entfernt ist, um nicht mittags in der Industriekantine «Mahlzeit!» wünschen zu müssen.
Welche Risiken birgt das Model Customized Agency für Werbungtreibende?
1. Eingeschränkte finanzielle Flexibilität.
Mit der Customized Agency (und der Inhouse Agency sowieso) binden sich Konzerne eine neue Großbaustelle ans Bein, und das – je nach Laufzeit des Kooperationsvertrages – für eine ganze Weile. Sieht dann eine neue Marketingstrategie andere Schwerpunkte, als Kommunikation vor oder müssen Verluste durch Einsparungen im Kommunikationsetat ausgeglichen werden, hat man mit der Customized Agency einen Kostenapparat aufgebaut, der sich nicht so einfach loswerden lässt, wie durch die Streichung von Projekten bei der herkömmlichen Agentur. Allerdings könnte man in einem solchen Fall erwägen, die Customized Agency für weitere Kunden zu öffnen.
2. Betriebsblindheit.
Einer der wichtigsten Gründe, sich der Beratung unabhängiger Spezialisten zu versichern, ist deren unvoreingenommene und oft interessant andere Sichtweise auf kommunikative Herausforderungen. Nach längerer Zusammenarbeit und aus Gründen der einseitigen Abhängig besteht die Gefahr, dass sich in der Customized Agency Betriebsblindheit breitmacht und aus opportunistischen Gründen kreative oder unbequeme Empfehlungen gar nicht mehr vorgebracht werden.
3. Fluktuation der Talente.
Gute Werber lieben und brauchen die Abwechslung. Deswegen arbeiten die meisten in unabhängigen Agenturen auch immer auf mehreren Kunden. Und so kann es den Mitarbeitern in der Customized Agency sehr schnell fad werden, was sich in steigender Personalfluktuation ausdrückt und damit einige der oben genannten Vorteile zunichte machen kann.
4. Mangel an Alternativen.
Die Bindungsangst vieler Werbungtreibender hat ja gute Gründe. Eine gute Idee macht noch keinen Sommer und so möchte man sich häufig die Möglichkeit offen halten, aus verschiedenen Ideen unterschiedlicher Quellen auswählen zu können. Auch, um mehr Sicherheit zu gewinnen, sich für die beste, nicht die erstbeste Lösung entschieden zu haben. Mit der Customized Agency muss man mit deren Empfehlungen leben. Eine zweite Meinung müsste man dann zusätzlich teuer einkaufen.
Und was versprechen sich Agenturen von der Gründung einer Customized Agency?
1. Kundenbindung und Planungssicherheit.
Customized Agency gründet man in der Regel nicht mal eben für nur eine Kampagne oder ein Projekt. Hier gehen ja beide Parteien ein ernsthaftes, auf Langfristigkeit angelegtes Commitment füreinander ein. Das schafft hohe Planungssicherheit auf Agenturseite und ermöglicht nachhaltige Investitionen in Personal, die Optimierung von Prozessen und in Effizienztools. Zeit- und kostenintensive Pitches kann sich eine Customized Agency ohnehin meist sparen.
2. Aufbau von Inhouse Agentur abwenden.
Die Customized Agency ist ein alternatives Konzept zum Auf- beziehungsweise Ausbau einer Inhouse Agentur und kann der kooperationsbereiten Agentur damit Aufgaben sichern, die vielleicht sonst in eine Inhouse Agency abgeflossen wären.
3. Finanzierung sichern.
Die notwendigen Investitionen in den schnellen Auf- beziehungsweise Ausbau einer Agentur (Personal, Immobilie, Infrastruktur, Tools etc.) können finanzschwache Agenturinhaber schnell überfordern. Da kommt ein meist finanziell potenter Partner, wie der künftige Kernkunde einer Customized Agency, gerade recht.
4. Internationalisierung.
Als Customized Agency eines international agierenden Auftraggebers kann eine bisher eher lokal agierende Agentur schnell Zugang zu internationalen Märkten erhalten, dort Markt-Know-how aufbauen und starke internationale Netzwerke knüpfen. So ist es zum Beispiel der ehemals kleinen, inhabergeführten Frankfurter Agentur Kastner & Partner mithilfe ihres Kunden Red Bull gelungen, ein Netzwerk von heute mindesten 15 Agenturen in wichtigen Märkten dieser Welt zu unterhalten (auch, wenn K&P sich nicht als Customized Agency sieht.)
5. Know-how-Transfer.
Die besondere Nähe zum Kernkunden und die auf Langfristigkeit angelegte Zusammenarbeit bergen auch die Chance, viel mehr über den beziehungsweise die speziellen Märkte, Zielgruppen, Strategien und Tools des Kernkunden zu lernen, als dies bei einer klassischen Kundenagenturbeziehung der Fall wäre.
Welche Risiken birgt das Model Customized Agency für Agenturen?
1. Goldener Käfig.
Wer sich als Customized Agency langfristig an nur einen Auftraggeber bindet, hat seine Unabhängigkeit verloren und ist auf Gedeih und Verderb seinem neuen Herrn ausgeliefert. Dieser sichert sich in der Regel maximale Transparenz in der Kalkulation sowie weitgehende Mitspracherechte bei Personalentscheidungen und direkten Zugriff auf Führungskräfte.
2. Ausgebrannte Mitarbeiter.
Agenturpersonal schätzt und braucht Abwechslung und immer wieder neue Herausforderungen und Aufgaben, um beweglich und offen zu bleiben, für neue, kreative Lösungen. Wer lange immer nur auf einem Kunden, in einem Markt und für die immer gleichen Zielgruppen arbeitet, brennt schnell aus, wird unzufrieden, schlechter oder kündigt. Die Öffnung der Customized Agency für komplementäre Kunden wäre eine Lösung, wird aber oft vom Partner nicht geschätzt.
3. Verlust der eigenen Identität - Culture Clash.
Viele unabhängige Agenturen sind auch deswegen erfolgreich und attraktiv für Kunden wie Mitarbeiter, weil sie ganz eigene Markenpersönlichkeiten ausbilden, eine eigene, attraktive Kultur entwickeln und etablieren konnten. Rücken solche Agenturen mit ihrer Customized Agency zu nah an ihren Kernkunden, besteht immer die Gefahr, dass genau diese attraktive Leitkultur verloren geht.
Das Modell der Customized Agency kann für Werbungtreibende unter Umständen eine sinnvolle Alternative zur Inhouse Agency auf der einen und zur klassischen, eher lockeren Agenturpartnerschaft auf der anderen Seite sein. Für Agenturen ist das Modell der Customized Agency möglicherweise eine Chance, langfristige Kundenbindung herzustellen, Planungssicherheit zu erlangen, notwendige Investitionen zu finanzieren und Know-how zu gewinnen.